Die Zahlen schwanken zwischen 60,000 und 80,000 illegal in Israel lebenden Einwanderern vor allem aus Eritrea und dem Südsudan. Am Tel Aviver Hatikvamarkt, einem traditionell armen Stadtteil mit einem hohen Anteil von Einwandern, sammeln sich die sozialen Spannungen. Alteingesessene wehren sich gegen die Gestrandeten in ihrem Park, in den Elendsquartieren, zu denen ihre Wohnungen in der Nachbarschaft geworden sind.
Die Politik reagierte sofort: während der Polizeipräsident noch Arbeitsmöglichkeiten von Einwanderern fordert, um die sozialen Folgen abzumildern, nahmen Politiker/innen der Rechten kein Blatt vor den Mund: Danny Danon von Likud trat die Welle los mit der unmissverständlichen Forderung „Deportation now!“. Eli Yishai, Innenminister im Kabinett Netanyahu, sprach von Wanzen, die Likud-Abgeordente Miri Regev vom Krebs, der die israelische Gesellschaft zerfrisst. Aus „Einwanderern“ und „Flüchtlingen“ wurden „infiltrators“.
Immer mehr hat die derzeitige Regierung das national-ethnische Bürgerschaftsrecht gegenüber dem liberalen Staatsverständnis der Gründungsdeklaration in den Vordergrund geschoben: die Betonung des jüdischen Charakters des Staates hat sich verengt auf die Frage ethnischer und religiöser Zugehörigkeit, die zur Staatsbürgerschaft und damit zu sozialen und politischen Rechten Zugang ermöglicht. Die Folgen sind Exklusionsmechanismen bis hin zu rassistischen Ausfällen in der oben genannten Art. Zugleich verweist die Jerusalem Post in ihrer Wochenendkolumne darauf, dass es nicht nur darum gehen kann, den jüdischen Charakter und die jüdische Majorität zu schützen, sondern auch um die historische Erfahrung der Verfolgung und die daraus abgeleitete besondere Verpflichtung des juedischen Staates gegenüber Verfolgten.
Damit ist unversehens die Frage des Umgangs mit den Flüchtlingen zu einer Frage der Identität des israelischen Staates geworden.
Israel hat, in seinem Selbstverständnis als liberales, an westlichen Werten orientiertes Staatswesen die Flüchtlingskonvention der Vereinigten Nationen 1967 unterschrieben. Einige Kommentator/innen sehen darin heute ein Problem.
Nicht wenige Kommentatoren verweisen darauf, dass Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan oft unvorstellbaren Gängeleien und Verfolgung ausgesetzt sind, bevor sie in Israel ankommen. Die Beduinenstämme auf dem Sinai und im Negev spielen dabei eine mehr als unrühmliche Rolle: Sie haben den Menschenhandel mit den Flüchtenden zu einem lukrativen Geschäft ausgebaut, bei dem es auf Menschenleben nicht ankommt.
Nun protestieren Menschenrechtsorganisationen, Staatsrechtler und Außen- und Realpolitiker, die die südliche Peripherie des Landes im Blick haben: So schlägt der Laborabgeordnete Herzog bilaterale Verhandlungen mit Eritrea vor, um den Flüchtlingen einen zeitlich begrenzten Aufenthaltsstatus zu ermöglichen.
Israels strategische Lage ist weitaus gefährdeter als die Europas, es ist nicht durch das Mittelmeer von Afrika getrennt. Auch das liberale Europa hat keine angemessene Antwort auf das anbrandende Elend an seinen Grenzen gefunden und aus dem Recht der Flüchtenden auf Schutz von Leib und Leben und angemessene Zugang zu Ressourcen eine Farce gemacht. Flüchtlingselend ist zum Alltag geworden, die Menschen, die im Mittelmeer ihr Leben riskieren, sind die Schande des heutigen Europa. Die Stimmen in Israel, die nach verträglichen Lösungen suchen, sind gerade dabei - ganz im Gegensatz zur Regierung - lautstark zu Wort zu melden.